Munitionsbergung auf dem Truppenübungsplatz Wittstock „Bombodrom“
Das Projekt auf einen Blick
- Projekt: Befreiung des Geländes von Munitionsresten und Schrott bis in 30 Zentimetern Tiefe
- Gebiet: Truppenübungsplatz Wittstock „Bombodrom“
- Fläche: 11.100 ha Gesamtfläche
- Einsatzkräfte: 150 Räumfachkräfte (entspricht 10% der in Deutschland verfügbaren Kräfte)
- Projektzeit: seit 2011 bis heute
- Funde bisher: Bomben bis zu 500 kg, 70 Tonnen Schrott, 15 bis 20 Tonnen Munitionsschrott und 3.800 bis 4.000 Granaten und Bomben
- Auftraggeber: Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA)
Hintergrund zum Projekt
Der Truppenübungsplatz Wittstock trägt seinen Beinamen „Bombodrom“ aufgrund der Nutzung durch die GSSD (Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland). Die Sowjetarmee nutzte das Gebiet für Panzerübungen und später auch für Bombenabwürfe. Durch die bewegte Geschichte des Bombodroms, kann niemand sagen wie viele Kampfmittel auf dem Gelände zum Einsatz kamen bis 2011 seine militärische Nutzung eingestellt wurde. Ein teures Unterfangen, aber auch eines, das dem Naturschutz zugute kommt.
„Seltsame Landschaft nicht? Man sieht sehr viel Schwarz in der Fläche. Das vermittelt einem schon so ein bisschen ein geisterhaftes Bild, unwirklich. Wir sind geordnete Landschaften gewöhnt, mit Ackerkanten, Felder, mit Linien und wenn wir da reingucken, haben wir keine Ordnung mehr.“
Die Szenerie erinnert an einen Science-Fiction-Film. Die Erde nach dem Dritten Weltkrieg. Eine grau-schwarze Fläche, soweit das Auge reicht. Am Horizont kahle Baumreihen. In der Mitte ein paar verrostete Container.
Das einzig Bunte sind Reihen von blauen und roten Fähnchen. Und die grüne Kluft von Rainer Entrup, dem Leiter des Bundesforstbetriebes Brandenburg-West.
„Das ist eine abgebrannte Fläche. Die Männer, die hier mit den Sonden arbeiten, müssen ja ihre Sonden dicht am Boden führen. Wenn man aber sieht, wie hoch die Heide eigentlich ist, fast ein halber Meter, kann man unmöglich da drin in der Heide eine Sonde führen, also muss die Fläche vorbereitet werden – also wir müssen sie abbrennen.“
Sicher bewegt sich Förster Rainer Entrup zwischen den blauen und roten Fähnchen. „Passen Sie auf, wo Sie hingehen!“, lacht er augenzwinkernd. Nicht ins Rote! – Seit 2016 überwacht Rainer Entrup die Räumungsarbeiten auf dem ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplatz, im Volksmund auch Bombodrom genannt. – Plötzlich bückt er sich.
„Das ist wieder ein Granatensplitter. Das ist so ein richtiger Brocken, so knapp unter der Grenze, was wir suchen.“
Sondierung und Bergung von Streubomben
Auf dem Gelände des Bombodroms befindet sich eine unüberschaubare Menge Streumunition. In jeder abgeworfenen Bombe befinden sich etwa 100 Stahlkugeln mit 100 Gramm Sprengstoff damit während der Explosion die Kugeln mit bis zu 1200 Metern pro Sekunde alles durchschlagen.
Die tennisball-großen Geschosse sind tödlich bis zu einer Entfernung von 100 Metern. Diese besonders schwer zu neutralisierenden Kampfmittel Suchen wir auf einer Fläche von 2.000 ha um sie unschädlich zu machen.
Niemals vergessen, dass es sich um Kriegsmunition handelt
Eine Sisyphos-Arbeit. Hier im Kernbereich des Truppenübungsplatzes stand früher die Attrappe eines NATO-Flughafens. Die Flugzeuge der Roten Armee bombardierten zu Übungszwecken ihren Lieblingsfeind mit Fliegerbomben, Lenkraketen – und Streumunition. 40 Jahre lang. „Wir wissen, dass wir hier Streumunition in den verschiedensten Arten finden,
entweder die detonieren oder sie liegen hier und haben nicht funktioniert: Und demzufolge müssen wir sie beseitigen.“ Ingo Rückerts Signalweste sieht man schon von Ferne. Der gelernte Feuerwerker leitet die Baustelle der Firma „Röhll Munitionsbergung“. Er nennt sie gern sein „Reich“, rund 1.000 Quadratmeter verkohlte Heide-Landschaft.
Räumungsarbeit mit Hochdruck
Nein, ich sag mal immer, wir machen unseren Job. Man könnte jetzt davon ausgehen, es wird zur Routine, wird es aber nicht. Wir müssen uns täglich vor Augen halten, – ja ich muss meinen Job durchführen, aber ich darf nicht vergessen, es handelt sich hier um Kriegsmunition.“
Als ehemaliger NVA-Soldat kennt Ingo Rückert fast alles, was er im Boden findet. Fast alles, denn die russische Armee verweigert bis heute genaue Angaben, welche Waffen sie benutzt hat. Und vor allem: wie viele. Vorsichtige Schätzungen gehen von 1,5 Millionen Bomben und Granaten aus. In seinem Baucontainer, erhöht auf einem Gerüst, überblickt Feuerwerker Rückert sein „Reich“ und führt penibel Buch. An der Wand hängt eine riesige Karte des Geländes, wie ein Schachbrett aufgeteilt, markiert mit blauen und roten Fähnchen. Blau bedeutet: geräumt, rot: noch belastet. Für jedes Quadrat ist ein zweiköpfiges Räumungsteam zuständig. Bis zu 50 solcher Teams arbeiten hier. Unter Hochdruck, denn bis 2020 soll das Gebiet geräumt sein.
„Streumunition ist fies, ist wirklich fies. Als Firma legen wir sehr viel Wert auf Sicherheit. In jedem Bauwagen hängen Bilder, ‚Jungs wenn ihr so etwas findet, bitte nicht anfassen! Holt den verantwortlichen Feuerwerker ran!‘ Das bleibt in der Erde, wird gekennzeichnet bis zum Termin der Vernichtung.“
Förster Rainer Entrup steuert seinen Jeep flott durch die Fähnchenreihen. „Nein, es ist noch nie etwas passiert“, sagt er wie beiläufig. Und parkt an einem riesigen Container, voll mit rostigen Bombenteilen.
„Schrott! – Hoher zweistelliger Millionenbetrag. Wir gehen von 30 bis 40 Millionen aus, für diese Verdachtsfläche. Das ist eine Schätzung heute, muss man vorsichtig benutzen.“
So viel könnte die Räumung der explosiven Hinterlassenschaften des Kalten Krieges kosten. Die Heide wäre dann wenigstens wieder frei für alle. – Förster Entrup schüttelt den Kopf.
„Nein, das wird nicht frei gegeben, weil wir nur bis 30 Zentimeter räumen, also die Fläche ist nicht kampfmittelfrei im Sinne öffentlicher Nutzbarkeit. Es ist für unsere Naturschutzgründe ideal, weil wir die Heide langfristig pflegen können, weil wir dann auch Sicherheit auf der Fläche haben, also das Unternehmen Pflege der Heide durch Feuer, dass können wir wunderbar machen.“
Eine der größten Heideflächen Europas dauerhaft erhalten
Fast liebevoll nimmt Förster Rainer Entrup einen verkohlten Heide-Strunk in die Hand. Alle paar Jahre wird die Heide im Februar oder März abgebrannt, – um sie zu erhalten. Fachleute nennen es das „kalte Feuer“, weil der Boden dafür gefroren sein muss. Für Entrup hat die Kampfmittel-Räumung auch sein Gutes „Wir haben ja hier die größte Heidefläche oder eine der größten Heideflächen Europas, und das sind heute noch 6.000 Hektar. Wir haben das Ziel, das wir 4000 dauerhaft erhalten.“ Vielleicht – irgendwann in ein paar Jahren – wird die verkohlte Räumungsfläche wieder Heidelandschaft sein. Happy End im Science-Fiction-Film.
Den allerdings werden außer Förster Rainer Entrup wenige zu sehen bekommen. „Militärisches Sperrgebiet – Betreten verboten. Lebensgefahr!“, warnen die Schilder. Nur am Rande führt ein 13 Kilometer langer Sandweg um Teile des Geländes. Und lässt einen Blick zu in das geheimnisvolle Innere.
„Man kann hier Ruhe hören und durch die Weite der Landschaft verstärkt sich dieser Eindruck noch. Viele empfinden das als eintönig, Birke, Kiefer, Heidekraut, das war's. Trotzdem, allein durch das sich ändernde Wetter, morgens ein anderes Licht als am Abend und toll, wenn man dann noch mal einen Wolf sieht, weil die schweben förmlich durch die Heide.“